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MY FACTORY 7-8/2021

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MY FACTORY 7-8/2021

PRODUCTION EXCELLENCE

PRODUCTION EXCELLENCE DDa steht sie – im Industriegebiet von Slubice, keine fünf Autominuten von der deutsch-polnischen Grenze bei Frankfurt/Oder entfernt. Gemeint ist die digitale Fabrik, mit der das mittelständische Technologie-Unternehmen Fraba sein angestammtes Drehgebergeschäft, das seit 2000 unter der Marke Posital läuft, komplett umgekrempelt hat. Mit dem Start der neuen Fertigung, die mit ihrer kreisrunden Architektur an ein Ufo erinnert, vollzog die fest in der Drehgeberwelt verwurzelte Fraba Anfang 2007 den Switch von einem handwerklich und regional ausgerichteten Spezialisten zu einem Unternehmen mit skalierbaren Produkten und internationalem Geschäft. „Schon als wir 1993 die durch Familienzwist und verpasste Technologie-Trends in Not geratene Traditionsfirma Fraba, die 1918 vom Tüftler Franz Baumgartner in Köln gegründet wurde, übernahmen, hatten wir ein ambitioniertes digitales Geschäftsmodell mit den Eckpunkten ‚Mass Customization’ und ‚Losgröße eins’ im Visier“, so Christian Leeser, der zuvor Unternehmensberater bei McKinsey war und bis heute Mehrheitsgesellschafter und CEO der ‚neuen’ Fraba ist. „Trotz der maroden Finanzen, die kurzfristig nach wirtschaftlicher Konsolidierung riefen, wussten wir um den starken Markenkern der Fraba, die in den 1970er Jahren beim Start der allerersten optischen Drehgeber ganz vorne mitmischte – und was sich daraus perspektivisch machen ließ!“ IN EIGENREGIE GESCHAFFENE FIRMEN-CLOUD Was in Polen 2007 mit zehn Leuten begann, hat sich schnell zu einem effizienten Zweischicht-Betrieb mit einem schlagkräftigen Team von 100 angelernten Montagekräften entwickelt. Gefertigt wird nach einem cleveren System, das auf einem modular gestalteten Produktbaukasten basiert und hohe Variantenvielfalt, Losgröße 1 und kurze Lieferzeit garantiert. Gesteuert wird die auf Flexibilität und Skalierbarkeit getrimmte Fertigung in Slubice, die Kunden weltweit mit passgenauen Drehgebern und Neigungssensoren versorgt, über die in Eigenregie geschaffene Firmen-Cloud. Hier sind sämtliche Geschäftsprozesse digital erfasst und in Echtzeit miteinander vernetzt, wobei alle Funktionsbereiche verknüpft sind. „Ohne die Steuerung sämtlicher Workflows aus der Cloud heraus hätten wir die digitale Transformation nie und nimmer gestemmt“, unterstreicht CEO Leeser. Ausgelegt ist die digitale Fabrik auf die flexible Fertigung punktgenauer Kundenlösungen. Während die Steuerung aus der Cloud den schnellen und sicheren Zugriff auf das vernetzte Fertigungssystem garantiert, sorgen die Montage-Teams für die praktische Umsetzung der Aufträge, bei denen hohe Variantenvielfalt den Takt vorgibt. „Mit unserem System haben wir ein Szenario geschaffen, bei dem wir modernste Technik mit den unschlagbar flexiblen Fertigkeiten und Fähigkeiten des Menschen kombinieren“, so Leeser. Eindrucksvoll ist der Produkt-Mix, der sich realisieren lässt. Passend zum Claim „One Million Sensors at Your Fingertips“ können aus dem Stand über eine Million verschiedene Drehgeber und Neigungssensoren gefertigt werden, die sich über logische Verknüpfungen in der Cloud aus rund 3500 im System erfassten modularen Bauteilen generieren lassen. Während die durchschnittliche Auftragsgröße bei 17 Einheiten liegt, ist jede vierte Order für Losgröße eins. Dies zeigt, dass das ‚Mass Customization’-Konzept voll und ganz aufgeht. PRODUCTION BY DEMAND Die Fertigung erfolgt ausschließlich auftragsbezogen – Production by demand! Sämtliche Orders werden über die Firmen- Cloud bei den Montage-Teams eingesteuert. Per Tablet, das als bi-direktionales Tool mit einem Handscanner kombiniert ist und sämtliche Arbeitsschritte lückenlos steuert und erfasst, erhält der Werker den nächsten Auftrag, den er ganzheitlich abwickelt. „Die Ganzheitlichkeit – von der Kommissionierung der Bauteile bis zur Verpackung des komplett getesteten Geräts – ist uns wichtig, da sie Identifikation mit dem Produkt und Motivation fördert,“ so Leeser. Um den Workflow reibungslos zu gestalten, werden die Mitarbeiter per Tablet systematisch durch die einzelnen Fertigungsschritte geführt. Dabei gibt es klare Arbeitsweisungen, die sprachneutral über Bilder, Videos und Piktogramme erfolgen. PIONIER DER DIGITALISIERUNG „Pionierarbeit war gefordert, als wir 2004 – drei Jahre vor dem Start in Slubice – den Startschuss für die digitale Transformation und die Schaffung einer voll funktionsfähigen Firmen-Cloud gaben und sämtliche Prozesse und Produkte auf den Prüfstand stellten, um sie zu digitalisieren“, erinnert sich Fraba-CEO Christian Leeser (Bild). Da es keine fertigen Lösungen gab, musste die Cloud- Architektur mit Bordmitteln kreiert werden. Als Basis diente ein Open Source ERP, das von der eigenen IT-Abteilung zur passgenauen Workflow Engine für die Fertigung – inklusive Online-Konfigurator und CRM – entwickelt wurde. „Was wir in Eigenregie schufen, gab uns schon damals Zugriff auf eine gläserne Fabrik, in der wir sämtliche Performance-Daten in Echtzeit erfassen konnten“, so Leeser. „Der Erfolg unserer digitalen Transformationsplattform, die den Namen ‚Flow‘ trägt, zeigt sich nicht nur daran, dass wir seit gut 15 Jahren voll und ganz auf sie setzen, sondern ‚Flow‘ über unsere neue Marke Credemus (lateinisch: Wir glauben) demnächst als Softwarepaket mit begleitender Beratung Mittelständlern anbieten, die am pragmatischen Switch in Richtung Digitalisierung interessiert sind – ohne überhöhte und teure Einstiegsbarrieren. Unser Motto dabei lautet: Vom Praktiker für Praktiker!“ Fraba-CEO Christian Leeser 14 MY FACTORY 2021/07-08 www.myfactory-magazin.de

01 Über eine Million verschiedene Drehgeber und Neigungssensoren können gefertigt werden, die sich über logische Verknüpfungen in der Cloud aus rund 3500 modularen Bauteilen generieren lassen 02 Die Fertigung erfolgt auftragsbezogen; sämtliche Orders werden über die Firmen-Cloud bei den Montage-Teams eingesteuert 01 03 Im Workflow sind automatische QA-Checks integriert, die eine permanent hohe Produktqualität garantieren „Mit diesem intuitiven Tool fühlen sich Mitarbeiter schnell bei uns zu Hause – und können dank der intelligenten Software im Hintergrund spätestens nach 14 Tagen auch die kniffeligsten Montagejobs stressfrei meistern“, so Leeser. Im Workflow integriert sind automatische QA-Checks, die eine permanent hohe Produktqualität garantieren. „In Slubice konnten wir die Messlatte in Sachen Qualität noch mal deutlich hochsetzen“, so Leeser. „Wir sind auf einem noch höheren Level als in Köln, wo wir unsere Geber bis Ende 2006 mit hochqualifizierten Technikern in einem handwerklichen Umfeld produzierten. Nicht mehr der einzelne Mitarbeiter sichert die Qualität, sondern das intelligente System und die dahinterstehende Hard- und Software. Unter dem Strich sind wir nicht nur schneller und preiswerter, sondern auch besser geworden – alles im Sinne unserer Kunden.“ DIGITALES GESCHÄFTSMODELL ETABLIERT Für direkten Zugriff auf das riesige Produktportfolio, mit dem die digitale Fabrik aufwartet, sorgt seit 2013 der unter www.posital.com freigeschaltete Produkt-Finder. „Als direkte Schnittstelle zum Kunden war er der logische Next Step, mit dem wir unser digitales Geschäftsmodell auf breiter Basis im Markt etablieren konnten“, unterstreicht Leeser. Der Online-Finder ist Konfigurator und Order-Tool in einem – und löst das Versprechen auf ‚maßgeschneiderte Drehgeber per Mausklick‘ praktisch ein. Was früher mit umfangreichen Katalogen, dem Abgleich komplexer Typenschlüssel oder zeitaufwändigen Experten-Gesprächen verbunden war, gibt’s mit dem intuitiv ausgelegten Produkt- Finder innerhalb von Minuten. Nach wenigen Klicks auf der Suchmaske, bei denen Parameter wie Messbereich, Schnittstelle, Auflösung oder Schutzart abgefragt werden, ist der passgenaue Drehgeber konfiguriert und kann geordert werden. Die IT hinter dem Produkt-Finder ist so ausgelegt, dass er sämtliche Details – vom Datenblatt über Verfügbarkeit bis zum Preis – liefert, auch wenn das Gerät zuvor noch nie gebaut wurde. Die Lieferzeit liegt bei drei Tagen. Bei Express-Bestellungen reichen 24 Stunden. Welches Potenzial eine genau geplante digitale Transformation bietet, zeigen anschaulich einige Initiativen von Posital, die alle in Richtung ‚Direct Sales‘ zielen. Strategisch nutzt der Drehgeberspezialist sein digitales Geschäftssystem mit Produkt-Finder, modularem Baukasten und vernetzter Fabrik, um immer wieder neue Vertriebswege zu öffnen. Schon länger ist man als B2B-Partner bei Amazon aktiv und nutzt auch Mercateo, Europas größte Plattform für gewerbliche Einkäufer, als weiteren Vertriebskanal. Für große Resonanz sorgte letzten Sommer der Launch des Reference- und Order-Portals www.EncoderMatch.com, das Instandhalter beim schnellen und kostengünstigen Austausch von Inkremental- Drehgebern unterschiedlichster Hersteller aktiv unterstützt. „Unsere digitalen Produktdaten sind so aufgebaut, dass wir sie blitzschnell in weiteren Sales-Portalen platzieren können“, AUTOR Martin Wendland, freier Journalist, Toronto/Kanada 02 03 erklärt Leeser. „Die immer vernetztere Welt mit globalen Suchmaschinen wie Google bietet jede Menge Spielräume – auch für Mittelständler wie uns.“ Bilder: Posital www.posital.com www.myfactory-magazin.de MY FACTORY 2021/07-08 15

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