SMART PRODUCTIONPRAXISORIENTIERTERLEITFADEN FÜR MEHR TRANSPARENZIN DER LIEFERKETTECO 2-FUSSABDRUCKEINERWERKZEUGMASCHINEEINFACH BERECHNENWie groß ist der CO 2-Fußabdruck einerWerkzeugmaschine? Wer für ein produzierendesUnternehmen den Nachhaltigkeitsberichterstellen oder Fortschritte bei den Treibhausgasemissionendokumentieren will, wird diese Fragewohl gleich in die Lieferkette weitergeben. DieAntwort ist nicht leicht: Immerhin besteht eineWerkzeugmaschine schon mal aus mehreren10 000 Einzelteilen, einschließlich zugekaufterMaterialien und Vorprodukte. Es gibt eine riesigeProduktvielfalt, die von der kompakten Fräsmaschinefür filigrane Uhrwerke bis zur Pressefür Flugzeugteile reichen kann. Fast jedeMaschine ist ein Unikat. Wie kommt man zueinem Wert, der auch für Wirtschaftsprüfervalide und zudem vergleichbar ist?Die CO 2-Bewertung an sich ist schon komplex“, stellt Prof.Felix Hackelöer vom Institut für Automation und IndustrialIT der TH Köln dazu fest, „für Werkzeugmaschinenist sie sehr komplex“. Hackelöer gehört einer Expertengruppean, die sich auf Initiative des VDW (Verein DeutscherWerkzeugmaschinenfabriken) gebildet hat. Die Gruppe stand vorder Aufgabe, so genannte Product Category Rules (PCR) für Werkzeugmaschinenzu entwickeln. Dabei geht es um einen Berechnungsansatz,mit dessen Hilfe sich der Product Carbon Footprint(PCF), also der CO 2-Fußabdruck einer Werkzeugmaschine ermittelnlässt. Mit im Team: Fachleute aus sechs VDW-Mitglieds-unternehmen: Chiron, DMG Mori, Grob, Heller, Schuler undUnited Grinding sowie aus den mit Normung und Standardisierungbefassten Fachabteilungen von VDW und VDMA. Ziel solltees sein, mit einem VDMA-Einheitsblatt eine Richtlinie zu erstellen,die sich im Idealfall bis zur ISO-Norm weiterentwickeln lässt.ANWENDBARKEIT AUCH FÜRKMU SICHERSTELLENDie Projektgruppe kam im Februar 2024 erstmals zusammen. Esgab eine kurze Findungsphase, in der unterschiedliche Erfahrungenberichtet und mögliche Vorgehensweisen diskutiert wurden.Auf einige zentrale Punkte habe man sich schnell verständigenkönnen, berichtet Jörg Süßdorf, Global Quality Manager beiSchuler Pressen, Göppingen: „Viele Unternehmen sehnen sichnach einem einfachen, gut strukturierten Papier“, sagt er. „Wirwaren uns einig, dass sich unsere Regeln ohne großen bürokratischenAufwand auch für KMU umsetzen lassen müssen.“Die Ergebnisse sollten vergleichbar und auch internationaladaptierbar sein. Sie sollten aber auch die Möglichkeit eröffnen,nachzurechnen oder kontrollieren zu können, wenn Marktteilnehmerwenig vertrauenswürdig erscheinen. Zu guter Letzt wurdedas Ziel ausgegeben, dass sich der PCF nach der zu entwickelndenMethode an einem einzigen Tag berechnen lassenmüsse. Bislang galten bestenfalls drei Monate als realistisch.„Wenn all diese Vorgaben erfüllt sind“, so Süßdorf, „ergibt sichfür Unternehmen ein deutlicher Benefit.“NUR NICHT ZU SEHR IN DETAILS VERLIERENDer PCF umfasst alle Treibhausgasemissionen, die von einemProdukt in den verschiedenen Phasen seines Lebenszyklus verursachtwerden. Die VDW-Projektgruppe einigte sich im erstenSchritt auf die Betrachtung Cradle-to-Gate, also einer Betrachtung,die sich auf Ressourcen, Herstellung der Vorprodukte undschließlich auf die Produktion des Endprodukts konzentriert –22 MY FACTORY 2025/02 www.myfactory-magazin.de
SMART PRODUCTIONbis zu dem Punkt, an dem die Maschine die Halle des Herstellersverlässt. Die Gründe nennt Henning Bornkessel, Senior ManagerSustainability & Process Management bei DMG Mori, Bielefeld:„Entscheidend war für uns die Kundensicht“, sagt er. „Bei Cradleto-Gatehandelt es sich um einen gut abgesteckten Bereich, zudem wir verlässliche Aussagen machen können. Genau denengilt das Interesse unserer Kunden für ihre CO 2-Bilanz.Die „hitzigsten“ Diskussionen gab es in der Expertengruppeum die Frage, wie sehr es ins Detail gehen müsse. „ÜbergeordneteAnsätze fordern eine Detailbetrachtung von bis zu 99 Prozentder Masse einer Maschine“, sagt Felix Hackelöer und betont:„Das ist bei Werkzeugmaschinen nicht zu leisten.“ Hier stellte sichdie Frage, so der Kölner Wissenschaftler, welchen Sinn es macht,den PCF bis hin zur kleinsten Unterlegscheibe zu errechnen. DasZiel der Arbeitsgruppe war es daher, eine Methodik für den PCFvon Werkzeugmaschinen zu erarbeiten, die eine gute Genauigkeitmit vertretbarem Aufwand vereint.NEUES VDMA-EINHEITSBLATT:EIN SCHLANKES KOMPLETTPAKETIn den jetzt vorliegenden PCR der VDW-Projektgruppe werdendie Anwender in neun Schritten durch den Prozess geführt.Dabei geht es natürlich vorrangig um die Maschine und ihre Einzelteile.Berücksichtigt werden darüber hinaus die Emissionen,die direkt vor Ort beim Maschinenhersteller entstehen, sowie zugekaufteEnergieträger, die auf die produzierten Maschinen entsprechendumgelegt werden.Grundsätzlich muss der Hersteller zunächst die Betrachtungsgrenzendefinieren. Geht es nur um das eigene Produkt oder dengesamten Lieferumfang, einschließlich etwa der Beladeroboter?Dann wird die Maschine quasi zerlegt. Anhand der Stücklistewerden alle Einzelteile nach Gewicht sortiert. Schaltschrank undMotoren sind gesondert zu betrachten, da sie CRM (Critical RawMaterials) wie Seltene Erden, Kupfer oder Kobalt enthalten können,die mit hohen CO 2-Emissionen verbunden sind. Für derenGENAUIGKEIT MIT VERTRETBAREMAUFWAND VEREINENUm den CO 2-Fußabdruck einer Werkzeugmaschinezu ermitteln, bedarf es einer Methodik, die einegute Genauigkeit mit vertretbarem Aufwandvereint. Eine Detailbetrachtung von bis zu 99 % derMasse ist bei Werkzeugmaschinen nicht zu leisten.Prof. Dr. Felix Hackelöer,Institut für Automation und Industrial IT der TH KölnBilanzierung bietet die Richtlinie einen praxisorientierten Ansatz.Spannend wird es an der Stelle, wo die verbleibende Masse derMaschine (nach Abzug von Schaltschrank und Motoren) betrachtetwird. Hier entschieden die Experten, zur Vereinfachung dasnach dem italienischen Wirtschaftswissenschaftler Vilfredo Paretobenannte Pareto-Prinzip (80/20-Regel) anzuwenden. Übertragenauf die Werkzeugmaschine bedeutet dies, dass einige wenigeTeile den Großteil der Masse – und somit auch des Carbon Footprint– ausmachen. Es gilt nun, anhand der sortierten Stücklistedie Teile zu identifizieren, die mindestens 80 Prozent der verbleibendenMasse ausmachen. Deren PCF lässt sich dann aus derMultiplikation von Gewicht und passendem Emissionsfaktor errechnen.Die Emissionsfaktoren der unterschiedlichen Materialienerhält man entweder vom Zulieferer oder aus einschlägigenDatenbanken. Die übrigen, noch nicht bilanzierten Teile lassensich entsprechend hochrechnen, was schnell geht und nach denErfahrungen der beteiligten Experten zu einer vergleichbar gutenGenauigkeit wie eine vollständige Betrachtung aller Teile führt,wie Hackelöer betont. Am Ende führt die Addition der einzelnenFootprints zum Product Carbon Footprint der gesamten Werkzeugmaschine,der als CO 2-Äquivalent in Kilogramm angegebenwird – ein Wert, der sich in jeden Nachhaltigkeitsbericht aufnehmen,überprüfen und mit anderen vergleichen lässt.Neben der beschriebenen Vorgehensweise bietet das VDMA-Einheitsblatt eine Beispielrechnung und Definitionen, Erläuterungenzu relevanten ISO-Normen sowie Hinweise auf Datenbankenfür Emissionsfaktoren, die kostenfrei zugänglich sind. „Alle notwendigenInformationen finden sich in unserem Papier oder inangegebenen öffentlichen Quellen“, betont Jörg Süßdorf. Es gebedamit erstmals einen Ansatz, der auch für die in der Branche zahlreichvertretenen KMU praktikabel sei, verspricht er. Alles sei leichtzu verstehen und ohne irgendwelche Schulungen durchzuführen.EMPFEHLUNG ZUM RICHTIGEN ZEITPUNKTFür Dr. Matthias Baur, Teamkoordinator Struktur- und Prozessdynamikbei den Grob-Werken, Mindelheim, kam die Arbeit amVDMA-Einheitsblatt genau zum richtigen Zeitpunkt. Die EU-Richtlinie CSRD (Corporate Sustainability Reporting Directive)verpflichtet ab 2025 den Großteil der Unternehmen zu einer umfassendenNachhaltigkeitsberichterstattung. „Standardisierunghilft beim gemeinsamen Verständnis und der Beseitigung zahlreicherUnsicherheitsfaktoren“, betont Dr. Baur, der bereits anverschiedenen Normungsverfahren, unter anderem zur Energieeffizienz,teilgenommen hat.Diese Sichtweise dürfte auch der VDW teilen, der sich für eineverbesserte Umweltbilanz von Werkzeugmaschinen einsetzt. Ausgutem Grund: Bereits vor zwei Jahren hat eine Besucherbefragungauf der EMO Hannover die Erkenntnis gebracht, dass für 68Prozent der Besucher der Schwerpunkt Future of Sustainability inProduction hoch im Kurs stand, beim ausländischen Publikummit einem Anteil von drei Vierteln sogar noch stärker als beimdeutschen. Als Veranstalter der EMO Hannover 2025 dürfte dasInteresse für den VDW groß sein, den Anstoß für eine neue Normzu geben, die die Umweltbilanz von Werkzeugmaschinen vergleichbarmacht und langfristig auf ein neues Level heben könnte.Bilder: Schuler Pressen; Personenbild privatwww.vdw.deAUTORINCornelia Gewiehs, freie Journalistin,Rotenburg (Wümme)www.myfactory-magazin.de MY FACTORY 2025/02 23
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