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Der Betriebsleiter 9/2020

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Der Betriebsleiter 9/2020

ARBEITSSICHERHEIT I

ARBEITSSICHERHEIT I SPECIAL Social Distancing leicht gemacht Echtzeit-Funkortungssystem unterstützt bei der Etablierung von Corona-Schutzkonzepten Nicole Lauther, Siemens USA, koordiniert den globalen Rollout der Lösung Nach den Corona-bedingten Lockdowns stellt sich in vielen Unternehmen die Frage, wie das Hochfahren der Produktion funktionieren kann, ohne die Sicherheit der Mitarbeiter zu gefährden. Eine Social-Distancing- Lösung von Siemens auf Basis von Echtzeit-Funkortung kann hier helfen. Wie das System funktioniert und welchen Nutzen es in der Praxis bringt, erläutert Siemens-Expertin Nicole Lauther im Interview. Frau Lauther, voneinander Abstand halten — das „Social Distancing“ — gilt zumindest in Deutschland als eine zentrale Maßnahme zur Eindämmung von Covid-19. Was bedeutet das für Unternehmen? Im Prinzip sind unsere Kunden und wir bei Siemens in der gleichen Situation. Entweder gab es einen kompletten Shutdown, sodass nur noch eine minimale Notbesetzung in die Anlagen durfte, oder ein Betrieb gilt als systemrelevant und musste deshalb weiter arbeiten. Aber spätestens seit in vielen Ländern wieder Lockerungen stattfinden, muss jeder einen Weg finden, die Arbeit wieder aufzunehmen oder auf die gewohnte Auslastung zurückzukommen – aber eben in einer sicheren Arbeitsumgebung. Und hier sei Abstandhalten immer noch die beste Maßnahme, sagen Virologen, wenn man nicht eine ganze Schicht lang eine Schutzmaske tragen will. Nun ist die Einhaltung eines Mindestabstands keine besonders komplizierte Regel. Warum fragen Kunden nach einer technischen Unterstützung? Da kommen mehrere Dinge zusammen. Zum einen vergisst man im Arbeitsalltag vielleicht mal die Abstandsregel und steht doch in der Produktion zusammen, zum Beispiel um ein Problem an einer Maschine zu beheben. Zweitens lassen sich manche Begegnungen nicht vermeiden, etwa in engen Gängen – hier brauchen die Verantwortlichen Transparenz, um solche Stellen zu erkennen. Vielleicht kann ein Unternehmen dann Maschinen neu platzieren, Einbahnstraßen für die Laufwege einführen usw. Und schließlich geht es um die Nachverfolgung im Fall einer Infektion: Mit wem hatte ein infizierter Mitarbeiter Kontakt? In welchen Bereichen der Anlage waren potenziell infizierte Mitarbeiter tätig, d.h. welche Teile müssen desinfiziert werden? Das eine ist also eine Warnfunktion im Alltag, das andere das Management im Falle eines Corona-Ausbruchs. Wie funktioniert die Siemens-Lösung für Social Distancing? Unsere Lösung basiert auf Simatic RTLS, einem Echtzeit-Funkortungssystem. Eigentlich dient es zur Optimierung von Fertigungsabläufen, zum Beispiel durch die fortlaufende Ortung von Materialien, Erzeugnissen und Produktionsmitteln. Dazu wird ein bestimmter Bereich mit RTLS-Gateways ausgestattet, die dann die sog. Transponder in Sekundenbruchteilen lokalisieren können. Für Social Distancing bekommt nun jeder Mitarbeiter einen RTLS-Tag, der über ein großes Display verfügt und wie ein Namensschild sichtbar auf der Kleidung getragen wird. Dieser Tag schickt die Standortdaten an eine Software (SieTrace), die per Algorithmus feststellt, ob Mitarbeiter zu eng beieinanderstehen. Diese Information wird auch den Mitarbeitern auf dem Display angezeigt. Kommt es zu einer Unterschreitung des Sicherheitsabstands, blinkt das Display und zeigt eine Warnung an. Das kann je nach Kundenwunsch unterschiedlich 38 Der Betriebsleiter 09/2020 www.derbetriebsleiter.de

SPECIAL I ARBEITSSICHERHEIT Durch die Interaktion von tragbaren RTLS-Transpondern mit Infrastrukturgeräten kann in definierten Bereichen die Bewegung der Mitarbeiter verfolgt werden gestaltet werden. Zudem werden die Positionsdaten in einer Datenbank gespeichert. Wozu braucht es diese Datenbank? Da geht es um zwei Fragestellungen. Erstens, wird der Abstand ausreichend eingehalten? Gibt es Anlagenteile, wo es immer wieder zu potenziell gefährlichen Begegnungen kommt? Und für welche Zeit stehen die Mitarbeiter zusammen? SieTrace kann dazu eine Heat-Map anzeigen, damit die Verantwortlichen erkennen, wann und wo es zu riskanten Situationen kommt und dementsprechend organisatorische Maßnahmen ergreifen, um diese Risiken zu eliminieren. Der zweite Aspekt: Wer ist im Infektionsfall welchem Mitarbeiter zu nahegekommen und für wie lange? Daraus lässt sich ableiten, wer auf Corona getestet werden muss oder gar in Quarantäne geschickt wird – eben nicht die gesamte Belegschaft. Und die Software zeigt an, in welchen Anlagenteilen eine Desinfektion erfolgen muss – aber wiederum nicht für den ganzen Standort. Die Daten helfen also beim Management eines Corona-Ausbruchs. Mittlerweile gibt es auch Corona-Apps für das Smartphone. Wozu braucht es dann noch eine RTLS-Lösung? Das hat verschiedene Gründe. Zum einen ist der Empfang in manchen Werken schlecht, so dass die Smartphone-Apps ungenau sind oder nicht richtig funktionieren. Zudem ist in manchen Anlagen die Mitnahme eines Smartphones untersagt, etwa aufgrund von Werksschutz- oder Sicherheitsvorschriften. Ein drittes Problem ist die Wahrnehmung eines Alarms. Unsere RTLS-Transponder werden ja deutlich sichtbar getragen, so dass nicht nur der Mitarbeiter selbst, sondern auch die Kollegen in der Umgebung den Alarm wahrnehmen. Und dann sind ja manche Apps (wie die in Deutschland) so ausgelegt, dass die Daten nicht in einer Datenbank zusammengefasst werden. Für den persönlichen Gebrauch auf der Straße und im Supermarkt ist das prima – aber in Unternehmen führt das zu einem erheblichen Risiko und eingeschränkten Möglichkeiten, auf eine Infektion zu reagieren. Die Apps haben im Innenraum einen erheblichen Nachteil: Sie erkennen keine baulichen Trennmaßnahmen. Wenn zwischen uns eine Wand hochgezogen ist, können wir ja in weniger als 2 Meter Abstand arbeiten – aber die App löst womöglich trotzdem einen Alarm aus. Wie ist das bei RTLS? Für Ortungssysteme wie Simatic RTLS werden oftmals Metadaten herangezogen, das heißt Informationen zu den baulichen Gegebenheiten. Damit können wir Trennwände usw. sauber erkennen und die Alarmmeldungen entsprechend filtern. Also Problem gelöst! Was sagen denn die Datenschützer dazu, dass die Bewegungsdaten der Mitarbeiter aufgezeichnet werden? Tatsächlich sorgen sich die Mitarbeiter, was mit ihren Daten passiert. Wird nun kontrolliert, wer wie lange Pause macht oder mit dem Kollegen plaudert? Aus diesem Grund erfassen wir mit Simatic RTLS keine personenbezogenen Daten, sondern nur eine eindeutige Nummer (Tag ID). Die Zuordnung zum einzelnen Mitarbeiter, wenn gewünscht, erfolgt durch das Unternehmen, und hier kann man sich ja im Betrieb eine organisatorische Regelung überlegen. Zum Beispiel, dass die Zuordnung nur im begründeten Fall im Zusammenspiel von Management und Betriebsrat erfolgen darf. Jede Firma hat da ihr eigenes System, und muss auch die unterschiedlichen nationalen Vorgaben beachten. Die Datenbank ist zudem verschlüsselt und der Zugang geschützt. Und dann können bei der Einführung auch bestimmte Bereiche komplett ausgenommen werden, zum Beispiel Umkleideräume oder Toiletten. Letztendlich müssen sich die Verantwortlichen in den Firmen zusammentun und gemeinsam beschließen, wie sie die Sicherheits-Anforderungen einerseits und die Persönlichkeitsrechte der Mitarbeiter andererseits in Balance bringen. Und dann muss klar sein: Ein vollständiger Verzicht auf technische Hilfsmittel löst das Problem nicht! Wie schnell lässt sich Social Distancing und Simatic RTLS installieren? Wichtig ist, dass wir hier von existierenden Technologien sprechen. Das System kann als Stand-alone betrieben werden, so dass keine großen Integrationsaufwände nötig sind. Insofern lässt es sich sehr kurzfristig einführen – aktuell haben wir bereits einige Testinstallationen in den USA. Kann die App auch in eine Leitstellen- Software integriert werden? Ja, natürlich, das bieten wir als Service für unsere Kunden an. Und was ist mit der Investition in die Siemens-Technologie, wenn ein Impfstoff oder Medikament verfügbar ist? Der große Vorteil einer RTLS-basierten Lösung ist, dass die Ortung wie eine Infrastruktur für unterschiedliche Applikationen genutzt werden kann. Und RTLS bietet auch für das eigentliche Produktionsmanagement große Vorteile, die sich in schnellem Return-on-Invest (RoI) widerspiegeln. Mit der Installation von Simatic RTLS werden also zwei Fliegen mit einer Klappe geschlagen: Anwender können sehr kurzfristig eine Lösung für die Corona-Problematik einführen und investieren aber gleichzeitig in die Zukunftstauglichkeit ihrer Betriebe, um auch mittel- und langfristig starke Wettbewerbsvorteile zu entwickeln. Bilder: Siemens www.siemens.de/rtls www.derbetriebsleiter.de Der Betriebsleiter 09/2020 39

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