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Der Betriebsleiter 7-8/2020

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Der Betriebsleiter 7-8/2020

BETRIEBSTECHNIK

BETRIEBSTECHNIK Zukunfts- oder Nischentechnologie? Wassereingespritzte Schraubenkompressoren näher betrachtet Die effiziente Erzeugung ölfreier Druckluft ist sowohl mit wasser- als auch mit öleingespritzten Kompressoren möglich. Mit Wassereinspritzung arbeitende Verdichter scheinen auf den ersten Blick besser dafür geeignet. Doch ist das wirklich so? Nachfolgend geht es um Argumente pro und contra dieser Technik. Um bei wassereingespritzten Kompressoren die Frage zur „Technik von Morgen oder Nischentechnologie?“ zu beantworten, ist es notwendig kurz den Stand der Technik zu betrachten. Atmosphärische Luft, die einen variablen Wasserdampfanteil besitzt, wird vom Kompressor angesaugt und im Schraubenelement auf den benötigten Druck komprimiert. Bei der Kompression von Gasen entsteht viel Wärme, und die Hauptaufgabe einer Öleinspritzung bei Kompressoren ist die Kühlung im Verdichtungsprozess. Ne- Autor: Dipl.-Wirt.-Ing. (FH) Dirk Gros, Geschäftsführer, Flex-Air GmbH, Steinen benfunktion des Öls ist Schmierung und Abdichtung gegen Rückströmungen in der Verdichterstufe. Die ölige und mit hohem Wasserdampfanteil kontaminierte Druckluft verlässt das Schraubenelement mit ca. 80 °C. Diese angestrebte Temperatur ist nicht willkürlich von Hersteller gewählt, schließlich kann die Druckluft bei dieser Temperatur nahezu 293 g/m³ Wasserdampf aufnehmen. Bei einem Druckluftstrom von 1 m³/min mit 7 bar Überdruck gelangen im Sommer bei 35 °C Ansaugtemperatur und 80 % relativer Feuchte in der Stunde 15 l Wasser in das System. Würde die Temperatur durch bessere Kühlung auf Dauer niedriger gewählt, würde im Verdichtungsprozess flüssiges Wasser ausfallen, was der Technik schadet. Nach dem Verdichten wird die Druckluft im weiteren Verlauf gekühlt, es fällt aus der Druckluft sehr viel Kondensat aus, ein Gemisch aus Wasser, Partikeln und Öl. Mit einer Temperatur am Druckluftaustrittsstutzen von ca. 10 °C über Umgebungstemperatur hat die Druckluft 100 % relative Feuchte und im günstigsten Fall weniger als 3 mg/m³ [1] Restölgehalt. Bei jeder weiteren Abkühlung tritt wieder Kondensation auf, daher wird im üblichen ein Kältetrockner zur weiteren Trocknung eingesetzt. Schlussendlich verlässt die Druckluft das System mit geringen Restölanteilen, einer absoluten Restfeuchte von etwa 6 g/m³ und ist für den Einsatz im Betrieb vorbereitet. Um für besondere Anwendungen in der Pharma-, Lebensmittel- und Chemieindustrie weiteres Öl und Wasser aus der Druckluft zu separieren, ist umfangreiche Aufbereitungstechnik im Einsatz. Das Produkt nach dieser Druckluftaufbereitung ist technisch ölfreie und sehr trockene Druckluft. Eine Druckluftaufbereitung produziert Druckabfall und kostet zusätzlichen Energieeinsatz für die Drucklufterzeugung, und zudem erzeugen notwendige Wartungen am Kompressor Altöl und ölige Filter – eine andere Lösung wäre wünschenswert. Die 01 Wasser hat eine günstigere Wärmekapazität als Öl und kann somit die Wärme aus dem Verdichtungsprozess effektiver abführen 12 Der Betriebsleiter 07-08/2020 www.derbetriebsleiter.de

BETRIEBSTECHNIK päische Arzneibuch oder die Norm für Atemschutzgeräte DIN EN 12021 fordern. Fazit 02 Um bei wassereingespritzten Kompressoren eine Verdichtungsendtemperatur unter 60 °C zu realisieren, setzen Hersteller auf aufwändige Wasseraufbereitung trockene Verdichtung ölfrei mit zwei Verdichterstufen und Zwischenkühlung ist technisch aufwendig, und die Investitionskosten sind hoch. Wasser statt Öl – und dann? Warum also nicht Öl durch Wasser ersetzen und die Mechanik des Kompressors auf eine Wasserkühlung auslegen? Wasser hat eine günstigere Wärmekapazität als Öl und kann somit die Wärme aus dem Verdichtungsprozess effektiver abführen. Zudem kann durch die bessere Kühlung eine hohe Energieeinsparung im Vergleich zur einstufigen adiabatischen Verdichtung argumentiert werden. Die Darstellung und Argumentation zur Energieeinsparung ist aber gewagt, denn auch trockenlaufende zweistufige und einstufige öleingespritzte Kompressoren bewegen sich mit der realen polytropen Verdichtung von p0 auf p1 in Richtung der optimierten isothermen Verdichtungsarbeit Wt. Der wassereingespritzte Schraubenkompressor ist mit seiner Verdichtungstemperatur deutlich näher dran, was die Energetik fördert. Um Kavitation und Kalkbildung zu verhindern, soll die Temperatur zudem möglichst niedrig sein, was allerdings das Bakterienwachstum begünstigt [2]. Die Verdichtungsendtemperatur möglichst weit unter 60 °C zu realisieren, darauf setzen Hersteller unter Verwendung von raffinierter Wasseraufbereitung. Denn auf jeden Fall muss vermieden werden, dass sich Legionellen bilden, dies wäre ein „Supergau“. Theoretisch bessere Energiebilanz – aber sicher höherer Preis Analysiert man die „Wasserschraube“ intensiver, relativiert sich die Energieeinsparung durch die niedrige Verdichtungsendtemperatur teilweise deutlich. Die bisher verwendeten polymerkeramischen Werkstoffe für die Schraubenrotoren sind nicht formstabil, es ergeben sich größere Spaltmaße, der Wirkungsgrad der Verdichterstufe ist nicht optimal [3]. Um entgegenzuwirken, besitzen größere Verdichter gänzlich Edelstahlschraubenrotoren, was die Herstellungskosten steigen lässt. Leider bleiben Verluste durch größere Rückströmungen beim Verdichtungsprozess gegeben, begründet durch fehlende Öldichtwirkung für die Spalte in der Stufe. Die detaillierte Betrachtung der Produktlebenszyklen und Investitionskosten ist im Vergleich zur „Ölschraube“ ebenfalls kritisch zu bewerten. Ein Kompressor mit nicht deutlich besserer Energiebilanz, der gegenüber einer Standardlösung viel teurer ist und bei dem die Haltbarkeit der Verdichterstufe geringer ist – da wird es für den Verkauf einer „Wasserschraube“ schwierig. Auch der kontinuierliche Wasserverbrauch muss in der Kalkulation noch berücksichtigt werden, außer ein Kältetrockner ist in der Anlage integriert, der diesen Wasserverbrauch durch nutzbare Kondensatproduktion kompensiert. Nun geht es in der Druckluft schließlich auch um Druckverluste der Druckluftaufbereitung, die durch eine Wasserschraube wegfallen. Mit zusätzlicher Argumentation zur Energetik über die bei allen Kompressoren erhältliche Drehzahlregelung werden oftmals Energieeinsparpotenziale gefunden, auch bei wassereingespritzten Kompressoren. Aber es bleibt der Aspekt Umwelt und Einhaltung der Druckluftqualitätsnorm ISO 8573, die mit der Druckluftqualitätsklasse 1 extrem hohe Ölfreiheit für Druckluft fordert. Für den Verkauf von ölfreien Verdichtern wird die Druckluftqualitätsklasse besser 1 gleich Klasse 0 angegeben, dies ist deutlich besser als es das euro- Damit der wassereingespritzte Schraubenkompressor kein „Ladenhüter“ wird, hilft es, dass die Druckluftqualität mit der ISO 8573 hoch angesetzt ist. Wenn absolut ölfreie Druckluft notwendig ist, sollte genau über die spezifische Leistungsaufnahme der verschiedenen Technologien zur ölfreien Drucklufterzeugung gerechnet werden. Aber selbst wenn die öleingespritzte Schraube diesen Vergleich gewinnt, das Risiko eines defekten Ölabscheideelementes sowie nicht funktionierender Druckluftaufbereitungstechnik ist potentiell vorhanden und sollte nicht außer Acht gelassen werden. Abschließend kann festgehalten werden, dass der wassereingespritzte Kompressor leider eine Nischentechnologie für besonders anspruchsvolle Branchen darstellt, die eine Alternative zum preisintensiven zweistufigen ölfreien Kompressor suchen. Das Privileg, als „Technik von Morgen“ bezeichnet zu werden, gilt derzeit sicher nur im Sinne der Umwelt. [1] Vgl. Atlas Copco GmbH (Hrsg.): Handbuch der Drucklufttechnik. 7. Ausgabe. o.O: Firmenschrift, 2009 [2] Vgl. Hollederer, A.; Liberei S.: Ölfreie, wassergeschmierte Kompressoren. Abschlußbericht. München: Rotorcomp GmbH, 1997 [3] Vgl. Brand, S.: Wasser statt Öl. Firmenschrift: Aerzener Maschinenfabrik GmbH, o.J. Bilder: Aufmacher peterschreiber.media/Adobe Stock; 01+02 Atlas Copco; 03 Flex-Air www.flex-air.com 03 Die gute Kühlwirkung von Wasser verspricht Energieeinsparung, denn die polytrope nähert sich der isothermen Verdichtungskurve www.derbetriebsleiter.de Der Betriebsleiter 07-08/2020 13

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