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Der Betriebsleiter 7-8/2019

Der Betriebsleiter 7-8/2019

FERTIGUNGSTECHNIK

FERTIGUNGSTECHNIK Flexibel und hochdynamisch Funkbasiertes Ortungssystem steuert hochmoderne additive Fertigung Neue Verfahren wie additive Fertigung (AM) im Labor zu entwickeln, ist das eine – die breite industrielle Nutzung eine gänzlich andere Sache. Neuartige Produktionskonzepte und der Einsatz moderner Kommunikationstechnologie helfen dem britischen Unternehmen Materials Solutions, die additive Fertigung industrietauglich zu machen. 01 Die Simatic RTLS ePaper-Transponder ermöglichen neuartige Interaktionen zwischen Mitarbeitern und IT-Systemen Das im britischen Worcester beheimatete Unternehmen Materials Solutions hat sich dem Additive Manufacturing nach dem Laser-Sinter-Verfahren verschrieben. Mit dem Umzug in ein neues, leerstehendes Gebäude hatten Gordon Green, Director of Engineering bei Materials Solutions und sein Team die einmalige Gelegenheit, das Layout der Fertigung komplett neu zu gestalten. Das Ergebnis kann man als einen Archetyp für die Fabrik der Zukunft bezeichen: dynamisch konfigurierbare Produktionsstrukturen, flexible Losgrößen bis zu Einzelstücken, eine lückenlose Dokumentation jedes Fertigungsschritts inklusive der Materialien – abgestimmt in diesem Fall auf die spezifischen Produktionsprozesse von AM. Bei der Additiven Fertigung arbeitet Materials Solutions mit Nickel, Aluminium oder Titan; die Erzeugnisse werden Schicht für Schicht in einer Druckerfarm aufgebaut, bis letztlich das Erzeugnis dem Drucker entnommen werden kann. Damit ist allerdings das Produkt noch nicht fertig. Je nach Spezifikation ist eine Temperaturhärtung erforderlich; die Druckerzeugnisse müssen von der Grundplatte getrennt werden; Autor: Markus Weinländer, Leiter Produktmanagement Simatic Net, Siemens AG, Nürnberg weitere (spanende) Bearbeitungsschritte sind durchzuführen usw. Wesentlicher Kostentreiber ist die Druckerfarm. Jede der eingesetzten hochpräzisen Maschinen kostet mehrere hunderttausend Euro in der Anschaffung – dementsprechend hoch sind die Kosten pro Druckvorgang, der je nach Erzeugnis sogar mehrere Tage dauern kann. Das Produktionsverfahren bietet kaum Skalierungseffekte: Will man den vierfachen Durchsatz durch den Einsatz von vier Lasereinheiten in einer Maschine, steigen die Kosten ebenfalls fast um den Faktor vier. Das besondere Augenmerk müsse deshalb auf die Flexibilität des Maschinenparks und die maximale Fehlerfreiheit der Abläufe gelegt werden, erklärt Gordon Green. Materialtransport als kritischer Kernprozess Die Prozesse müssen auf die speziellen Anforderungen angepasst werden. Material Solutions sieht sich mit einer dreifachen Dynamik und Flexibilität konfrontiert. Zum einen eignet sich AM vor allem für Kleinserien wie Prototypen oder Ersatzteile oder aber spezielle Nischenprodukte die konventionell nicht gefertigt werden können. So gibt es kaum Aufträge mit mehreren hundert Stück, dafür jede Menge Einzel- anfertigungen und Kleinstserien. Produktionstechnisch ist das kein Problem, da bei AM keine Rüstvorgänge anfallen. Dafür ist der Materialtransport ein kritischer Kernprozess: So vielfältig wie die Erzeugnisse sind auch die Legierungen, die verwendet werden. Nicht nur der korrekte Materialeinsatz, auch die lückenlose Überwachung und Dokumentation des Materials ist äußerst wichtig für die Prozessqualität: Wann wurde wieviel Material entnommen, wie lange war es mit der Umgebungsluft in Kontakt usw. Die dritte Perspektive ist dann der Maschinenpark selbst. Hier kommt es laufend zu Ergänzungen, um den technischen Fortschritt der Drucker nutzen zu können, z. B. für größere Produktstrukturen. Dementsprechend muss die Produktion so aufgebaut werden, dass sie vergleichsweise einfach rekonfiguriert werden kann. „Eine feste Verkettung mit Fördertechnik macht deshalb überhaupt keinen Sinn für uns“, so Gordon Green. Stattdessen sind autonome Transportfahrzeuge Im Fokus Effizienz Nachhaltigkeit Sicherheit 20 Der Betriebsleiter 7-8/2019

FERTIGUNGSTECHNIK (AGVs) zum Transport von Erzeugnissen und Materialien im Einsatz. Funkbasiertes Ortungssystem überwacht Prozesse Doch das genügt noch nicht, um die Produktionsqualität sicherzustellen. Bei der Befüllung der Maschinen ist eine Überwachung notwendig, ebenso bei der Verfolgung der Erzeugnisse und der Dokumentation des Materialeinsatzes. Als ideal hat sich hier der Einsatz eines funkbasierten Ortungssystems (Real-Time-Locating-System, RTLS) von Siemens erwiesen. Nicholas Turner, Projektleiter für den RTLS-Rollout, nennt zuerst die hohe Flexibilität des Systems als entscheidenden Vorteil. „Gerade weil wir immer wieder die Maschinen umkonfigurieren und auch unterschiedliche Applikationen – Erzeugnisse, Materialien, AGVs – unterstützen müssen, ist RTLS die richtige Wahl“, so Turner. Denn RTLS bietet keine Einzelpunkt-Identifikation wie bei RFID oder Barcodes, sondern fungiert als Infrastruktur für eine Vielzahl von Anwendungen. In der Produktionshalle von Materials Solutions wurden rund 50 sog. Anchors aufgebaut, die die Lokalisierung der (beweglichen) Transponder sicherstellen und zugleich als Gateway die Ortsinformationen über den Locating Manager den Zielapplikationen zur Verfügung stellen. Die Verkabelung ist äußerst kostengünstig – durch Power-over-Ethernet (PoE) genügt eine einzelne Leitung. Und auch die Inbetriebnahme ist durch die Auto-Konfiguration denkbar einfach. Neues Level der Digitalisierung Turner und Materials Solutions haben sich aus zwei Gründen für den Einsatz von Simatic RTLS von Siemens entschieden. Der eine: die Lokalisierungs-Software passt nahtlos in die IT-Architektur bei Materials Solutions. Der Simatic RTLS Locating Mit Echtzeit-Ortung Produktionsprozesse optimieren Real-Time-Locating-Systems (RTLS) lassen sich in komplexen Umgebungen für unterschiedlichste Applikationen einsetzen. In der Produktion ermöglicht das System beispielsweise eine exakte Überwachung des Produktionsfortschritts und einen transparenten Materialfluss. Die mit RTLS zugänglichen Echtzeitdaten über Standort und Status von Objekten bilden dabei die Basis für die Vernetzung der beteiligten Akteure und der logistischen Prozesse in ihrer Wertschöpfungskette. Anwender können so jedes Produktionsobjekt bezüglich seiner aktuellen Position fortlaufend mit dem 3D-Modell des Produkts oder der Fertigungsumgebung automatisch abgleichen. Die Auswertung und Kombination dieses digitalen Zwillings mit anderen Informationen – beispielsweise mit Apps des offenen IoT-Betriebssystems MindSphere – erlaubt die dynamische Optimierung von Produktions- und Logistikprozessen: So lassen sich Prozesse effizienter steuern, Stillstandzeiten minimieren und das Fehlerrisiko reduzieren. Zudem ermöglicht RTLS völlig neue Abläufe in Produktion, Materialflusssteuerung und Logistik, zum Beispiel im Zusammenhang mit fahrerlosen Transportsystemen (FTS) oder mobilen Robotern. Manager überträgt die Ortsinformationen an einen SQL-Server, der auch die Daten aus dem ERP-System verwaltet. So ist die Kombination von Digitalem Zwilling und RTLS-Informationen durch eine einfache Tabellen-Verknüpfung realisierbar. Für die Mitarbeiter an den Maschinen sind beide Informationen auf einen Blick ersichtlich und können auch zur Prozesssteuerung eingesetzt werden. „Ein AGV kann nun einfach per Knopfdruck zu einer bestimmten Ware beordert werden – die Ortsinformationen liegen ja dank RTLS bereits im System vor“, so Turner. Auch die manuelle Dokumentation der Materialentnahmen kann damit digitalisiert werden. Ein zweiter, wichtiger Vorteil sind die ePaper-Transponder von Simatic RTLS. Diese kleinen Funkgeräte verfügen über ein stromsparendes Display, das dynamisch veränderliche Informationen für die Arbeiter anzeigt. Somit ist auf den ersten Blick klar, um welches Material oder welchen Auftrag es sich bei einem Container oder Transportbehälter handelt. „Dies ermöglicht uns völlig neue Formen der Prozessintegration zwischen Mitarbeitern und der IT – ein neues Level der Digitalisierung“, sagt Projektleiter Turner. Auch die Anzeige von 2D-Codes auf dem Display hilft, um eine Interaktion mit anderen Systemen zu schaffen. Ausblick Die Reise ist für Turner damit noch nicht zu Ende – weitere Applikationen werden sukzessive entwickelt, erprobt und ausgerollt. Das RTLS-Projekt ist nach dem Start der Infrastruktur auf zwei Jahre ausgelegt. Dabei soll RTLS auch als Analyse-Werkzeug genutzt werden, um z. B. mögliche Engpässe im Warenfluss zu erkennen. Eines ist für Materials Solutions klar: Um im digitalen Wettbewerb in der ersten Liga mitzuspielen, braucht es nicht nur innovative Produkte und Herstellungsverfahren – auch die Fertigungsorganisation muss mitunter völlig neue Wege gehen. www.siemens.de 02 Die RTLS-Infrastruktur kann für eine Vielzahl von Anwendungen genutzt werden 03 Die SQL-Schnittstelle des Simatic RTLS Locating Manager erlaubt eine einfache Integration mit dem ERP-System bei Materials Solutions Der Betriebsleiter 7-8/2019 21

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