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MY FACTORY 4/2021

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MY FACTORY 4/2021

SMART PRODUCTION WELCHE

SMART PRODUCTION WELCHE AUSWIRKUNGEN HAT DIE CORONA- KRISE AUF DIE INDUSTRIE? Angela Jäger, Fraunhofer-Institut für System- und Innovationsforschung ISI, Karlsruhe Die Corona-Pandemie und der mit ihr einher gehende Lockdown treffen viele Betriebe. Über die tatsächlichen Auswirkungen auf Produktionsebene ist aber wenig bekannt. Das Fraunhofer ISI führte deshalb im Rahmen seiner Erhebung „Modernisierung der Produktion“ eine Sonderbefragung durch. Wir sprachen mit Angela Jäger über Kurzarbeit, den Produktionsanlauf nach dem ersten Lockdown und über Digitalisierungstendenzen in der Industrie. Welche Ergebnisse konnten Sie aus Ihrer Sonderbefragung „Folgen der Corona-Pandemie in der Produktion“ gewinnen? Insgesamt zeigten 60 Prozent der befragten Betriebe Kurzarbeit an. Hiervon waren bei 34 Prozent der Unternehmen alle Beschäftigten in Kurzarbeit, während es bei 26 Prozent nur ein Teil der Beschäftigten betraf. Dies zeigt, dass zahlreiche Betriebe während der Zeit des Lockdowns massive Produktionsrückgänge zu verzeichnen hatten. Paradoxerweise war dabei der Anteil an kleinen Betrieben (< 50 Beschäftigte), die das Instrument Kurzarbeit nutzten, geringer als unter den größeren Betrieben. Dieser Unterschied verweist sicher auf die Hürden beim Zugang zum Instrumentarium der Kurzarbeit, deutet aber möglicherweise auch auf eine flexiblere Produktionsgestaltung hin. SONDERBEFRAGUNG DES FRAUNHOFER ISI Das Fraunhofer ISI führte im Spätsommer 2020 eine Sonderbefragung zum Thema „Folgen der Corona-Pandemie in der Produktion“ durch. Dazu wurden alle Produktionsbetriebe befragt, die bereits an der Erhebung „Modernisierung der Produktion 2018“ teilgenommen hatten. So konnte ein repräsentativer Ausschnitt des verarbeitenden Gewerbes adressiert und mit wenigen Fragen ein ganzheitliches Bild erfasst werden. Die rege Teilnahme von 237 Betrieben ermöglichte diese Studie zu den Auswirkungen der Corona-Pandemie für die Produktion. Die Produktion während des Lockdowns kam insbesondere in den vorgelagerten Stufen der Wertschöpfungsketten zum Erliegen 8 MY FACTORY 2021/04 www.myfactory-magazin.de

SMART PRODUCTION Welche Produktionsbetriebe waren besonders von Kurzarbeit betroffen? Dies hing von den strukturellen Rahmenbedingungen ab und hierbei von der Position in der Wertschöpfungskette: Während Teile- und Komponentenzulieferer sowie Systemzulieferer nicht nur häufiger, sondern auch umfangreicher Kurzarbeit anzeigten, waren Beschäftigte von Betrieben am Ende der Wertschöpfungskette, also der Endprodukthersteller sowie der Anlagenhersteller deutlich weniger häufig in Kurzarbeit. Festzuhalten ist demnach, dass die Produktion in Deutschland während des Lockdowns insbesondere in den vorgelagerten Stufen der Wertschöpfungsketten stärker zum Erliegen kam. In welchem Umfang haben die Betriebe bereits aufgrund des ersten Lockdowns Umstrukturierungen in ihren Produktionsabläufen vorgenommen? Und inwieweit planen Betriebe, ihre Zuliefernetzwerke umzugestalten? Bereits mit dem Lockdown im Frühjahr 2020 begannen Produktionsbetriebe diverse Umstrukturierungen vorzunehmen, um die Produktion trotz Einschränkungen aufrechterhalten zu können. Diese betrafen insbesondere die Bereiche der Produktionsprozesse und der Zuliefernetzwerke. Während des Lockdowns nahmen 59 Prozent der Betriebe Umstrukturierungen in ihren Produktionsabläufen vor. Weitere 18 Prozent der Betriebe begannen, die Neuausrichtung ihrer Zulieferketten zu planen, um zukünftigen Zulieferschwierigkeiten entgegenzuwirken. DER LOCKDOWN FÜHRTE ZU EINEM DIGITALISIERUNGSSCHUB ÜBER ALLE BEREICHE HINWEG Im Ergebnis kann durchaus davon ausgegangen werden, dass bereits der erste Lockdown, aber auch die Corona-Krise insgesamt zu weitreichenden Umstrukturierungen der Industriebetriebe führen. Zwei Drittel der befragten Betriebe nehmen die Krise zum Anlass, um Umstrukturierungsmaßnahmen vorzunehmen, jeder achte Produktionsbetrieb sogar in mehreren Bereichen. Dies lässt hoffen, dass die Produktion in Deutschland robuster geworden und für mögliche zukünftige Einschränkungen dieser Art besser gerüstet ist. Ist zu erwarten, dass die Corona-Krise einen Digitalisierungsschub auch für die Produktion auslösen wird? Ja, die Ergebnisse lassen einen breiten Digitalisierungsschub im verarbeitenden Gewerbe erwarten. Dabei konnten Betriebe, die bereits vor dem Lockdown einen höheren Digitalisierungsgrad aufwiesen, auch während der Corona-Krise eher auf digitale Lösungen zurückgreifen. Dies gilt aber auch für die Betriebe, die bislang weniger auf Digitalisierung setzten. Insgesamt haben Betriebe aller Industriezweite bereits während des Lockdowns neue digitale Lösungen eingeführt und planen zudem, zukünftig verstärkt in Digitalisierung zu investieren. Die Krise führte demnach auch dazu, neue Chancen zu erkennen und neue Potenziale auszuschöpfen. Wie sieht zusammenfassend Ihr Fazit aus? Zum einen wurde deutlich, dass die Industrie in Deutschland in weiten Teilen massive Produktionsverluste hinnehmen musste. Vier von fünf befragten Unternehmen waren entweder durch Zulieferschwierigkeiten betroffen oder mussten aufgrund von Produktionseinbrüchen Kurzarbeit anzeigen. Interessanterweise spielten weder der Digitalisierungsgrad noch der Internationalisierungsgrad eine Rolle. Weitere Erkenntnis ist, dass der Produktionsanlauf nach dem Lockdown im Frühjahr 2020 nur schleppend wieder in Gang kam: Die Mehrzahl der Betriebe konnte ihr Vorkrisenniveau nicht wieder erreichen. Trotz dieser ernüchternden Zahlen zeichnen sich aus der Corona-Krise auch Chancen ab. Rund die Hälfte der Betriebe haben entweder ihre Produktionsabläufe neu organisiert oder planen ihr Zuliefernetzwerk umzustrukturieren. Damit haben sich aufgrund des Lockdowns weite Teile der Industrie robuster ausgerichtet. Zudem ist in direkter Folge der Beschränkungen ein Digitalisierungsschub zu erwarten. Vielen Dank für das Gespräch! Das Interview führte Nicole Steinicke, Chefredakteurin MY FACTORY. Das Interview stützt sich auf Auswertungen der Sonderkurzbefragung „Folgen der Corona-Pandemie in der Produktion“ im Rahmen der Mitteilung Nr. 78 der Erhebung „Modernisierung der Produktion“. Bilder: Fraunhofer ISI www.isi.fraunhofer.de UNTERNEHMEN Fraunhofer-Institut für System- und Innovationsforschung ISI Breslauer Straße 48 76139 Karlsruhe Tel.: +49 (0) 721 6809 0 FAZIT DER STUDIENERGEBNISSE n Die Industrie in Deutschland musste in weiten Teilen massive Produktionsverluste hinnehmen. n Insbesondere Zulieferbetriebe sowie Hersteller von komplexen oder kundenindividuellen Produkten zeigten 2020 überdurchschnittlich häufig Kurzarbeit an. n Nur jeder fünfte Betrieb produzierte im Herbst wieder auf Vorkrisenniveau. n Aufgrund des Lockdowns haben weite Teile der Industrie ihre Prozesse und Netzwerke robuster ausgerichtet. n Betriebe über sämtliche Bereiche hinweg haben bereits während des Lockdowns neue digitale Lösungen eingeführt und planen zudem, zukünftig verstärkt in Digitalisierung zu investieren. www.myfactory-magazin.de MY FACTORY 2021/04 9

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